In der Tür des Baders stand Sibylla, die Tochter des Tuchhändlers. Sie war wunderschön und in kostbare, seidene Gewänder gekleidet.
Sofort fiel der Bader in eine tiefe Verbeugung. Heute war wirklich sein Glückstag. Der Tuchhändler war einer der mächtigsten Männer der Stadt und seine Tochter eine reiche junge Frau.
„Oh! Ich bitte um Verzeihung! Tretet ein Gnädigste!“ beeilte sich der Bader zu sagen. „Womit kann ich Euch dienen?“
Sibylla hielt ihre Gewänder zusammen und trat über die Schwelle in den engen Laden des Baders.
„Ihr könntet mir damit dienen“, sagte sie würdevoll, „dass Ihr mir die Waren aushändigt, die Ihr auf dem Burgmarkt gestohlen habt!“
Der Bader erschrak. „Aber das ist gewiss ein Missverständnis. Ich habe niemanden bestohlen.“
„Ihr habt das Mädchen bestohlen, das dort Körbe verkauft. Und der Beweis steht hier auf Eurem Tisch!“
„Aber, aber!“ Der Bader lachte auf. „Die paar billigen Körbchen einer Verbrecherin! Ich habe dem Marktbesteller nur einen Gefallen getan und diesen Unrat weggeräumt.“
In Sibyllas Gesicht verzog sich keine Miene, nur ihr hübsches Kinn reckte sich noch ein kleinwenig höher. „Aber dieser Unrat ist Euch schon gut genug, Eure Kräuter darin feil zu bieten.“ Sie nahm eines der kunstvoll gefertigten Gefäße aus Birkenrinde auf und betrachtete es ausgiebig.
„Gleichviel“, sagte der Bader. „Das Zeug gehört niemandem mehr.“
„Doch, es gehört dem Mädchen. Noch ist es nicht verurteilt.“
Der Bader wurde langsam ärgerlich. „Gnädigste, ich bitte Euch! Ihr wisst so gut wie ich, dass Verbrecher kein Recht mehr auf ihren Besitz haben. Und dieses Mädchen ist eine Verbrecherin!“
„Nun“, erwiderte Sibylla, „welchen Verbrechens hat sie sich denn Eurer Ansicht nach schuldig gemacht? Und warum würde ihr Besitz in dem Falle dann ausgerechnet an Euch fallen? Ist es nicht vielmehr so, dass der Besitz von Verbrechern an die Familie des Geschädigten fällt oder an den Stadtherrn? – Wenn ich es genau überlege, habt Ihr womöglich sogar den Stadtherrn bestohlen!“
Dem Bader wurde heiß und kalt. Nervös spielten seine Finger mit der Münze, die er immer noch in der Hand hielt. Schon sah er sich am Pranger oder womöglich würde ihm als Dieb eine Hand abgehackt!
„Aber“, rief er in seiner Not, „sie ist eine Hexe und sie hat mir Schadenszauber angedeihen lassen. Und deshalb bin ich der Geschädigte und ihre Sachen gehören mir! Das kann ich beschwören!“
Sibyllas Augen wurden schmal. „Bader, Ihr wollt diesem Kind nicht wirklich eine Anklage wegen Hexerei anhängen, nur um Eure Haut zu retten!“
Der Bader verschränkte trotzig die Arme. „Doch, das will ich! Sie ist eine Hexe!“
Sybilla verschränkte nun ihrerseits die Arme und schaute den Bader scharf an. „Vielleicht seid Ihr ja der Hexer! Ich habe vor Eurem Laden allerlei grausiges Zauberwerk und stinkenden Talg liegen sehen. Anscheinend braut Ihr Schadenstränke und Flugsalben. Ja, ich bin sogar sicher, dass Ihr das tut. Denn eben habe ich einen Nachbarn gefragt, wo der Bader wohnt und der hat mir erzählt, Ihr habt Euch gestern Abend mit einem Hund unterhalten. Und bei genauem Hinsehen hatte dieser Hund einen Ziegenfuß. Sicherlich wird der Nachbar das bezeugen, wenn ich ihn darum bitte.“
Dem Bader rutschte das Herz in die Hose. Jedes Gericht würde der Tochter des Tuchhändlers eher glauben als ihm. Und auf Hexerei stand der Tod! Was war ihm nur geschehen? Eben hatte es doch noch so ausgesehen, als wäre ihm endlich das Glück hold und jetzt stand er kurz vor dem Scheiterhaufen!
„Oh bitte, Gnädigste, vergesst, was ich in meiner Not gesagt habe. Bitte, nehmt die Körbe alle mit!“ Hastig schüttete er alle Körbchen auf seiner Ladentheke aus und stapelte sie ungeschickt zusammen. „Hier, nehmt sie alle, ich habe sie nicht beschädigt. Wisst Ihr ich habe sie nur verwahrt. Nur verwahrt für das brave Kind. Gewiss wird sie wieder freikommen. Es war alles nur ein Irrtum.“
„Ihr wechselt Eure Meinung schnell!“ spottete Sibylla. „Eben war sie noch eine Hexe, jetzt ist sie ein braves Kind. Wie soll ich sicher gehen, dass Ihr nicht, kaum dass ich Euren Laden verlassen habe, wieder Hetzreden gegen die Korbflechterin führt?“
„Nein, das werde ich bestimmt nicht, ganz sicher nicht. Bitte, Gnädigste, ich will nur meinen Beruf weiterführen. Seht, ich habe aufgeräumt. Ich will gewiss nie wieder Zauber und Wundermittel verkaufen!“
„Ihr gebt es also zu?“ Sibylla schaute voller Verachtung auf den jämmerlichen Bader, der in seiner Angst schwitzte und zitterte. Sie wollte ihn zur Strafe noch ein wenig zappeln lassen. „Ihr habt Zaubermittel verkauft. Ich dachte, Eure Wundermixturen wären bestenfalls wirkungslos. Aber Zauber fällt unter Hexerei!“
Da brach der Bader in lautes Jammern aus. „Aber so verdreht mir doch das Wort nicht im Munde! Es ist mein Beruf. Die Menschen kommen doch zu mir um, Liebes- und Schadensz… Ach du liebe Güte, nein! Das ist doch nur harmloser Betrug, also …“. Der Bader merkte, dass er sich um Kopf und Kragen redete.
Die Andeutung eines Lächelns spielte um Sibyllas Mundwinkel. „Hört zu, Bader“, sagte sie, „ich werde nicht die Körbe mitnehmen, sondern etwas anderes. Gebt mir diese Münze dort als Unterpfand dafür, dass Ihr nicht gegen die Korbmacherin aussagen werdet.“
Der Bader starrte entsetzt auf die Münze. Er war sich gar nicht bewusst gewesen, dass er sie in der Hand hielt. In Gedanken verfluchte er seine Unachtsamkeit. Er begriff, dass Sibylla die Überlegene war.
„Aber“, stammelte er, „aber ich bekomme meine Münze doch zurück, wenn ich nichts sage, oder?“
Die Tochter des Tuchhändlers streckte die Hand aus und der Bader legte unter größtem Bedauern das schwere Goldstück hinein.
„Ich werde versuchen“, sagte Sibylla, „die Korbflechterin mit Hilfe dieser Münze zu entlasten. Sobald sie frei ist und ihre Waren von Euch zurückerhalten hat, sollt Ihr haben, was von dem Gold dann noch übrig ist.“
Gold, dachte der Bader, sie hat Gold gesagt! Also ist es wirklich eine goldene Münze!
„Danke! Danke, Gnädigste! Ihr seid zu gütig. Wirklich zu gütig!“ stammelte er. Aber er wusste auch, dass er niemals wieder etwas von dem Gegenwert der Münze erhalten würde. Denn so viel die Tochter des Tuchhändlers von Gold wusste, so wenig wusste sie davon, was Gefangene, die einmal im Turm saßen, erwartete.
Aber Sibylla hatte sich schon abgewandt, war zurück auf die Gasse getreten und fortgegangen.
Der Bader sank auf einen Schemel. Er verstand die Welt nicht mehr. Alles, was ihm als glücklicher Zufall wiederfahren war, war schon wieder zerronnen. Er hatte die Münze verloren. Was für ein Unglück! Irgendjemand würde dafür büßen, das schwor er sich.