Magnus kehrte zurück in das Gasthaus, in dem er und Lukas Unterkunft gefunden hatten. Dort fand er eine Nachricht vom Ritter, der ihn in ein Wirtshaus bestellte. Müde machte sich Magnus wieder auf den Weg.
Er traf Lukas in einer zwielichtigen Spelunke in der es jetzt am Abend ruhig geworden war. Die Feiernden vom Tage hatten entweder all ihr Geld vertrunken oder lagen berauscht auf ihren Strohsäcken. Ein paar wenige hielten sich noch auf den Bänken. Manchen war der Kopf auf den Tisch gesunken.
Der Ritter saß mit seinen drei Gefährten Franz, Leopold und Friedrich in einer dunkleren Nische.
„Ah, Freund Magnus“, begrüße ihn Lukas. „Kommt und setzt Euch.“
Er bekam einen Krug Bier vorgesetzt und trank in kleinen Schlucken, während er den vier Recken zuhörte. Die Pläne der Aufständischen waren inzwischen gereift.
„Im Haus des Schmieds, des Kerzenmachers und des Huters liegen jeweils zweihundert Speere, hundert einfache Kurzschwerter und noch ungezählte lange Messer versteckt,“ berichtete Ritter Leopold. „So haben wir in drei Himmelsrichtungen von der Burg aus reichlich Waffen für die Aufständischen unter dem Volk.“
„Fragt sich, ob die Leute bereit sind, sich uns von jetzt auf gleich anzuschließen,“ warf der skeptische Ritter Friedrich ein.
„Wir müssen sie mitreißen“, antwortete Ritter Franz.
„Sie werden sich uns anschließen“, versprach Lukas. „Wir müssen bloß Stürmt die Burg, dort ist Fleisch und Wein für alle brüllen und sie werden uns folgen.“
„Ganz gewiss“, antwortete Leopold mit einem bitteren Lachen. „Für Fleisch und Wein werden sie gegen jeden kämpfen, der sich ihnen in den Weg stellt.“
„Und gegen tausend Bewaffnete und wütende Aufständische wird die Wache der Burg nicht standhalten können.“
„Sie werden die ersten zehn Reihen niedermetzeln und dann überrannt werden!“
„Außerdem sind wir ja noch da“, sprach Friedrich. „Wir werden die einzelnen Truppen so gut es geht leiten.“
„Zwei von uns können nicht oben an der Burg mitkämpfen“, sprach Franz mit bedeutungsvollem Ton. Die anderen schauten ihn erstaunt an.
„Zwei werden mit einer geheimen Waffe zu tun haben.“
Die Männer rissen die Augen auf. Franz beugte sich noch etwas tiefer über den Tisch und die Köpfe der anderen folgten.
„Ich habe Sprengfeuer für uns besorgt“, flüsterte Franz mit einem angedeuteten Grinsen.
Den anderen drei Rittern entfuhren leise Ausrufe des Erstaunens und der Begeisterung.
„Franz, du alter Haudegen, bist immer für eine Überraschung gut!“ lachte Lukas.
„Ich habe eine größere Menge Schießpulver angeboten bekommen und dank der Großzügigkeit unseres Herrn Magnus hier, konnte ich es erwerben.“
Magnus, dem schon bei den bisherigen Kriegsplänen der Ritter angst und bange geworden war, sank nun vollends das Herz. Sprengfeuer!
„Wollt Ihr etwa mit Kanonen schießen?“ fragte er entsetzt.
„Oh nein“, antwortete Franz. „Die Kanonen überlassen wir dem Stadtherrn. Obwohl sie ihm wenig nützen werden. Von der Stadtmauer kann er nur ins Umland schießen, aber sein Feind ist ja innerhalb der Mauern.“
„Aber er hat noch Kanonen oben auf der Burg“, wandte Friedrich ein.
„Sicher, aber damit würde er seine eigene Stadt in Trümmer legen! Bevor es soweit kommt, haben wir schon die Burg gestürmt.“
„Wir werden“, fuhr Franz fort, „mit dem Schießpulver Sprengfeuer herstellen, die mit einer Lunte versehen sind.“
Voller Bewunderung starrten die anderen drei Recken ihren Gefährten an.
„Darum kümmere ich mich mit Euch“, meldete sich Lukas. „Morgen zeigt Ihr mir, wie man diese Waffen baut.“
„Aber werden damit nicht alle Menschen, die in der Nähe sind, in die Luft gesprengt?“ fragte Magnus voller Entsetzen.
Lukas rollte ein wenig mit den Augen. „Junge, Ihr taugt wirklich nicht für das Kriegshandwerk. Wie soll man eine Schlacht schlagen, ohne jemanden zu verletzen? Darum geht es doch in einer Schlacht. Aber tröstet Euch – vielleicht kommt es nicht zum Äußersten.“
„Was wirklich schade wäre bei all den Vorbereitungen“, warf Leopold ein.
„Zuerst“, fuhr Lukas fort, „werden wir mit dem bewaffneten Volk vor das Burgtor ziehen und dem Stadtherrn anbieten, sich mit seinem gesamten Gefolge zu ergeben.“
„Was er nicht tun wird“ wurde Lukas von Leopold unterbrochen.
„Genau“, erklärte Friedrich weiter, „sie werden sich nicht ergeben und anfangen von der Burgmauer aus mit Pfeilen zu schießen.“
Jetzt unterbrach Lukas: „Es werden also auf jeden Fall die anderen sein, die mit dem Kämpfen anfangen, nicht wir.“
„Allerdings werden wir“, sprach jetzt Franz weiter, „als Antwort auf die Pfeile ein paar Sprengfeuer unter das Burgtor rollen und es auf diese Weise öffnen.“
„Und dann Gnade ihnen Gott!“ endete Lukas.
Magnus ließ den Kopf hängen. Er konnte das Rad, welches er ins Rollen gebracht hatte, nicht mehr anhalten. Das hatte er nicht gewollt. Schwerter und Sprengfeuer! Aber er sagte nichts mehr.
Als er schließlich mit Lukas in sein Gasthaus zurückgekehrt war und sie sich zur Ruhe gelegt hatten, wollte der Schlaf trotz des ereignisreichen Tages nicht kommen. Magnus bereitete in seinen Gedanken Annas Befreiung vor. Wieder und wieder ging er jedes Detail durch. Er musste ein Bündel für sie mitnehmen, damit sie in der geheimen Kammer zu Essen und trockene Kleider haben würde.
Irgendwann, spät in der Nacht übermannte ihn der Schlaf. Er träumte von tiefen, dunklen Wassern. Etwas Unbekanntes stieg aus ihnen empor und etwas Bekanntes stieg in sie hinab.