Drei Tage lang bereisten Magnus und Ritter Lukas von Rossen die Lande im Umkreis der Stadt und statteten Besuche ab. Der junge Magnus staunte, wie sehr sich der Unwille ob des Lebenswandels des Stadtherrn auch in den Kreisen des Adels und der Ritter verbreitet hatte. Ein reiches Leben mit hellen Feuern, üppigen Mahlzeiten und dem einen oder anderen Zechgelage waren das eine. Aber das Ausbluten von Volk und Land das andere.
Und so taten sich vier starke Recken und kampferprobte Männer zusammen, um einen Streich zu planen, der dem Treiben des Stadtherrn ein Ende setzen würde:
Ritter Lukas von Rossen, Ritter Franz vom Stein, Ritter Leopold der Rote und Ritter Friedrich Hallenstätten.
Magnus‘ Münze wurde mehr als einmal auf eine Waage gelegt und berechnet. Schwerter wurden geschliffen und Rüstungen poliert.
Es wurden Boten in die Stadt entsandt, die geschickt und vorsichtig bereitwillige Männer als Anführer einzelner Gruppen rekrutierten. Franz vom Stein nahm die Münze an sich und führte damit geheime Verhandlungen um große Mengen an Waffen.
Am dritten Tag standen Magnus und Lukas auf dem Hof des Ritterguts Leopold des Roten und beluden einen großen Wagen mit Heu. Sie versteckten darin die Schwerter und Rüstungen der Ritter, denn es war allen außer den Wachen verboten, in Kampfbekleidung oder mit Waffen die Stadt zu betreten. Mit dem Heuwagen würden die Wachen am Tor keinen Verdacht schöpfen, denn Futter für die Pferde und das Vieh innerhalb der Mauern war höchstwillkommen.
Magnus schwirrte der Kopf ob des geschäftigen Treibens und der mörderisch aussehenden Schwerter.
„Mir ist nicht wohl bei alledem, Herr Lukas“, sprach der ehemalige Novize und lehnte sich gegen das hoch aufgetürmte Heu.
Der Ritter, der gerade einige Gurte am Wagen festzog, schaute erstaunt auf. „Aber das habt Ihr doch gewollt, als Ihr zu mir kamt!“
„Ja, schon, aber mir war nicht klar, dass ich damit einen regelrechten Krieg anfache. Es könnten doch Leute dabei sterben.“
„Hmmm“, der Ritter kratzte sich am Kopf. „Es werden ganz sicher Leute sterben. Das geht nicht ohne, wenn man eine Burg mitsamt einer Stadt einnehmen will. Aber tröstet Euch: Ihr werdet keine Waffe tragen und niemanden umbringen.“
„Nein, Freund, das tröstet mich nicht. Denn ist es nicht so, dass derjenige, der einen Krieg finanziert, die schlimmste Waffe von allen schwingt?“
„Nun, Magnus, damit müsst Ihr leben. Oder wollt Ihr die Münze wieder zurückhaben? Das geht jetzt nicht mehr. Und ich fürchte, dass die Dinge schon ihren Lauf genommen haben. Wir werden das nicht mehr aufhalten können.“
„Ich weiß“, Magnus ließ den Kopf hängen.
„Hört zu, Junge“, der Ritter ließ von seinen Gurten ab und lehnte sich neben Magnus. „Ihr seid nicht schuld an diesem Aufstand. Die Leute in der Stadt werden so oder so anfangen, sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen. Wir können mit Eurer Münze wenigstens dafür sorgen, dass das Ergebnis dieses Kampfes etwas Besseres ist als vorher. Wenn wir nichts tun, dann sterben sicherlich früher oder später genauso viele, wenn nicht sogar mehr Leute an Hunger, Ungerechtigkeit und Krankheiten.“
Magnus schüttelte den Kopf. „Trotzdem wünschte ich, es wäre anders.“
„Tja“, der Ritter schlug dem Jungen auf die Schulter, so dass der kurz das Gleichgewicht verlor. „Das wünschten wir alle.“ Und damit ging er wieder an die Arbeit.
Magnus erkannte, dass er eine Last trug, die immer schwerer zu werden drohte. Und er fragte sich, ob er je eine Antwort darauf bekommen würde, warum die Menschen und Dinge so waren und warum alles so und nicht anders gekommen war.
Aber letzthin blieb ihm wenig Zeit für Grübeleien. Schon am selben Abend kam in gestrecktem Galopp ein Bote geritten. Er brachte Nachricht aus der Stadt. Die Korbmacherin war von den bischöflichen Gesandten im Kerker aufgesucht worden und morgen sollte das Urteil über sie gefällt werden.
Obwohl Magnus gewusst hatte, dass dieser Tag kommen würde, erschrak er zutiefst. Er fühlte Lukas große Hand auf seiner Schulter. „Es geht los, Junge! Lass uns in die Stadt aufbrechen!“
Ritter Lukas von Rossen legte die guten Gewänder eines Adligen an und gab Lukas die Kleidung eines Knappen. Er selbst bestieg ein schönes Reitpferd und Lukas bekam ein hübsches, kräftiges Pony.
So ritten sie wie Reisende zum Stadttor und wurden ohne Bedenken eingelassen. Sie suchten eins der besseren Wirtshäuser in den oberen Stadtringen auf, ließen die Pferde ordentlich versorgen und am Abend setzten sie sich zu einem guten Essen in die Wirtschaft. Der Gastraum war voller Menschen und Stimmen und Rauch. Die Nachricht von der morgigen Verhandlung um die Korbmacherin hatte die Leute aus ihren Häusern getrieben. Alle waren begierig, Neues zu hören und eifrig darüber zu mutmaßen, was für eine Strafe das Waisenmädchen zu erwarten hatte.
Der allgemeine Tumult kam Lukas und Magnus zugute, denn so konnten sie sich unauffällig mit einigen Kontaktleuten treffen. Die anderen drei Ritter waren auch schon in der Stadt und es war alles gut vorbereitet. Eine große Menge Waffen lag in geheimen Verstecken bereit. Ein Angriffsplan war verabredet worden und die Anführer für die einzelnen Waffenlager hatten vertrauenswürdige Leute um sich versammelt, die nur auf ein vereinbartes Zeichen warteten.
„Wann wird es soweit sein“, fragte beinahe jeder der Anführer, die sich nacheinander unauffällig zu ihnen gesellt hatten.
„Sagt Euren Männern, sie sollen sich in Geduld üben“, antwortete Lukas jedes Mal. „Wir werden nicht am Tag der Verhandlung zuschlagen. Der Bischof ist in die Stadt gekommen und so lange er da ist, sind alle Burgwachen in Alarmbereitschaft.“
Die Anführer schienen enttäuscht.
„Ihr habt genug damit zu tun, morgen einfach nur das Volk zu beobachten“, beschwichtigte der Ritter. „Achtet darauf, dass bei den Streitigkeiten, die ganz sicher nach dem Urteil entflammen werden, keine spontanen Zusammenrottungen geschehen. Achtet besonders auf Betrunkene in der Nähe der Schankstuben. Es darf kein unkontrollierter Aufstand ausbrechen, das würde unsere Pläne vereiteln.“
Die Männer nickten und verließen unauffällig den überfüllten Schankraum.
Magnus schlief in dieser Nacht schlecht. Er wagte es nicht, Anna zu besuchen. Gewiss würde der Turm mit dem Verlies darunter jetzt bewacht. Ihn quälte der Gedanke, dass das Mädchen glauben könnte, er hätte sie vergessen.
Früh am nächsten Morgen brachen sie auf zur Burg, wo im großen Saal die Gerichtsverhandlung stattfinden sollte. Die ganze Stadt schien auf den Beinen, aber nur Adlige und die reicheren der freien Bürger wurden in die Burg gelassen. Das gemeine Volk musste draußen warten.
Lukas von Rossen und sein Knappe wurden in den Saal vorgelassen und fanden einen Platz an einer Wand, wo sie stehen und dem Geschehen folgen konnten. Vor Kopf des Saales saßen erhöht der Stadtherr, der Bischof und die Gesandten des Bischofs. Magnus senkte voller Sorge darüber, erkannt zu werden, den Kopf. Aber tatsächlich waren hier so viele Menschen versammelt, dass keine Gefahr für ihn bestand.
Ein lautes Raunen ging durch den Saal, als die Korbflechterin, in Hand- und Fußfesseln, geführt von zwei Bütteln, den Saal betrat. Durch einen breiten Mittelgang wurde Anna nach vorne gebracht.
Zum ersten Mal erblickte Magnus das Mädchen bei Licht. Ihr Kleid war beschmutzt und zerrissen, ihr Haar offen und verfilzt und ihre großen Augen blickten voller Angst auf die vielen Menschen.
„Ganz klar Junge, in diese Schönheit hätte ich mich auch verliebt“, spöttelte Lukas. Aber man sah dem Ritter die Anspannung an. Magnus selber zitterte innerlich. Da stand das Mädchen, gebeugt und verzweifelt und er konnte ihr nicht helfen.
Ruhe kehrte ein und die Verhandlung begann. Ein Büttel verkündete die Anklage. Der Korbflechterin wurden die Erschleichung eines Marktstandes und mehrfacher Diebstahl auf dem Markt daselbst vorgeworfen. Die Gesandten des Bischofs berichteten, bei der Prüfung der Angeklagten zu hohen Bedenken derer Gottesfürchtigkeit gelangt zu sein. Sehr wahrscheinlich sei sie sogar eine Hexe.
Ein aufgeregtes Raunen ging durch den Saal.
Als Zeuge wurde der Bader aufgerufen, der berichtete, dass die Korbmacherin durch einen Schadenszauber all seinen Talg hatte ranzig werden lassen. Außerdem hätte sie bei einem Besuch in seinem Laden einen sprechenden Hund mit einem Ziegenfuß bei sich gehabt.
Anna wurde nicht befragt. Sie stand nur da und musste alles anhören, während ihr die Tränen durch das Gesicht liefen. Jedes Mal, wenn sie anhob, etwas zu ihrer Verteidigung zu sagen, wurde sie durch einen scharfen Ruck der Büttel an ihrer Seite zum Schweigen gebracht.
Die gesamte Verhandlung dauerte keine halbe Stunde. Der Stadtherr verkündete schließlich das Urteil:
„Die Korbmacherin Anna wird hiermit wegen Diebstahls, der Erschleichung von Vorteilen, des Schadenszaubers und der Hexerei zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt. Das Urteil wird am kommenden Sonntag vollstreckt!“
Wieder ging ein Raunen durch die Halle und der Verurteilten entfuhr ein Schrei, der Magnus durch Mark und Bein ging. Die sich verzweifelt wehrende Gefangene wurde wieder abgeführt.
Dann erhoben sich die hohen Herren auf der Empore und verließen den Saal.
Magnus stand, unfähig sich zu rühren, auf seinem Platz und konnte nicht glauben, was er soeben erlebt hatte.
Er fühlte, wie Lukas ihn am Arm packte und ihn durch die tumultartig diskutierenden Menschen hinaus auf den Burghof führte.
„Kommt, wir haben zu tun“, raunte ihm der Ritter zu.